Category: Prosa

  • das metronom

    »Sie musterte ihn jetzt doch, die Frau von oben links, sah das Fleisch über dem Hosenbund, die fleckigen Hausschuhe, zu groß, für den Klumpfuß, sah nicht das entzündete Zahnfleisch, über das er rasch die Lippen schob, sah die haarigen Hände nutzlos an den Seiten baumeln. Keine Mine verzog sie, sah bloß wieder zu den Augen hoch, die Augen waren in Ordnung, hellbraun und hinter hübsch gebogenen Wimpern, ela, haselnussfarben, hatte die Mutter gesagt, und gelächelt, wenn das Licht hineinfiel.«


    volltext erscheint in der KLW #16


    lesung: 13.12.25, 16:00 uhr, im kult würzburg


  • die dohle

    »In der Südstadt winkte mich jemand ran, es nieselte. Eine ältere Dame, hatte wahrscheinlich in der Eckkneipe mit Freunden geklönt und einen über den Durst getrunken. Ich stieg aus und ließ die Fahrertür offenstehen, die Dohle blieb sitzen. Ich half der Frau ins Auto, sie war unsicher auf ihren Beinen und dem Stock.

    »Was ist das für ein Vogel, ist das Ihrer?«, sie verzog den Mund.

    »Ist mir zugeflogen«, antwortete ich wahrheitsgemäß.

    »Also, das ist ja, …, also wirklich«, sie sah nach draußen. Nieselregen. Sie wollte nicht auf den nächsten warten.

    »Wohin möchten Sie?«, fragte ich höflich.«


    volltext erschienen in der erostepost #70


    lesung: 13.02.26, 19:30 uhr, im literaturhaus salzburg


  • abtrift

    »Finley dachte an die trockenen, glatten Hände seines Großvaters. Das wettergegerbte Gesicht mit den nach oben gebogenen Mundwinkeln, die raue, sanfte Stimme. Seinem Großvater war die Insel nie zu klein gewesen, und als Kind, in den Erzählungen über Flora und Fauna, war auch Finley jeder Quadratkilometer von Skye vorgekommen wie ein ganzes Universum.«


    volltext erschienen in der anthologie der 38. recklinghäuser literaturnacht


    lesung: 15.11.25, 19:00 uhr, in der alten schmiede recklinghausen


  • die stubenfliege

    »Bald werden die Fliegen der Vergangenheit angehören. Auf dem Rücken liegend, die angewinkelten Beine von sich gestreckt, werden sie sich von mir aufsammeln lassen. Die letzten gelockten Haare verschwinden im Staubsauger, deine Finger verlassen meinen Hals, ich habe dich aus den Laken gewaschen.«


    volltext erschienen in der anthologie “un-heimliches” der galerie kunstvoll


    lesung: 01.11.25, 19:00 uhr, in der galerie kunstvoll hatten


  • die visite

    »Das ist lange her. Der Vater ist im Pflegeheim, zittrige Hände, er verwechselt Hassan mit seinem jüngeren Bruder Hüseyin, dann klagt er mit einer Stimme, die heute zerbricht wie ein Zweig, die früher eine Axt war, die alles und Hassan mit einem Hieb in zwei teilen konnte.«


    volltext erschienen in den literarischen blättern 08/25


    lesung: 08.05.26, 20:00 uhr, im motoki köln


  • auch ich lebe

    »Die zwei Schwestern ähneln einander bis auf die Länge ihrer blonden Haare. Eine verlässt das Haus früh morgens, sie trägt einen großen Rucksack und hastet in Richtung Straßenbahn, die andere folgt später, sie steigt auf ihr Fahrrad und fährt schuldbewusst ein kurzes Stück über den Bürgersteig, weil sie das Klappern des Schutzbleches auf den Pflastersteinen nicht ausstehen kann. Da ist noch eine junge Mutter mit blasser Haut, glatt wie Gummi, und einem Leberfleck über der Oberlippe, der ein wenig zu groß und hervorstehend ist, um als Schönheitsmal zu gelten.«


    volltext erschienen auf der webseite der moerser gesellschaft zur förderung des literarischen lebens


    lesung: 03.11.24, 11:00 uhr, im martinstift moers